Politik

Unionsfraktion droht Pistorius mit Verfassungsklage

Über Nord Stream 2 soll Russland versucht haben, NATO-Informationen zu U-Boot-Tauchgebieten und Schusszahlen in der Pommerschen Bucht abzufischen. Nun bezichtigt die CDU/CSU-Fraktion den Verteidigungsminister Pistorius der Auskunftsverweigerung. Sein Ministerium schiebe Gründe vor.

Die Spitze der Unionsfraktion im Bundestag hat Verteidigungsminister Boris Pistorius wegen des Umgangs mit Informationen zu möglichen russischen Versuchen, NATO-Daten abzufischen, scharf kritisiert. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten, Thorsten Frei, wirft dem Minister in einem Schreiben eine unzureichende Antwort auf eine Anfrage im Zusammenhang mit einer möglichen Offenlegung von Militärgeheimnissen der Bundeswehr durch Behörden von Mecklenburg-Vorpommern vor. Der CDU-Politiker fordert Pistorius auf, die Unionsfragen jetzt „unverzüglich zu beantworten“ und droht andernfalls mit einem Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Anfang Dezember hatten Landtagsabgeordnete in Schwerin nach der Befragung von Zeugen im Landes-Untersuchungsausschuss zur Klimastiftung Mecklenburg-Vorpommern berichtet, Moskau habe versucht, über das Genehmigungsverfahren für die Erdgasleitung Nord Stream 2 an geheime NATO-Daten zur Ostsee zu gelangen. Ein CDU-Abgeordneter hatte damals erklärt, das Bergamt Stralsund als Genehmigungsbehörde habe bei der Bundeswehr im Auftrag von Nord Stream 2 nach Koordinaten der U-Boot-Tauchgebiete der NATO in der Region gefragt. Die Klimastiftung war Anfang 2021 vom Landtag gegründet worden, um die Fertigstellung der Gasleitung unter Umgehung drohender US-Sanktionen zu ermöglichen, was auch gelang.

Der Ausschuss soll unter anderem klären, wie groß der Einfluss der russischen Geldgeber auf die damalige SPD/CDU-Landesregierung bei der Stiftungsgründung war. Nord Stream 2, Tochterunternehmen des russischen Staatskonzerns Gazprom, war mit 20 Millionen Euro der größte Geldgeber für die Klimaschutzstiftung MV. Nord Stream 2 ging infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine im Februar 2022 nicht in Betrieb.

Die Unionsfraktion hatte der Bundesregierung am 22. Februar einen Katalog mit 18 Fragen geschickt. Sie bezog sich auf Medienberichte, nach denen Militärgeheimnisse der Bundeswehr insbesondere zu Schusszahlen im Artillerieschießgebiet Pommersche Bucht ohne Genehmigung des Bundes an Dritte weitergegeben und teils im Internet veröffentlicht worden seien.

Das Verteidigungsministerium weist in seiner Antwort darauf hin, dass die Aufarbeitung des Sachverhaltes sehr komplex und zeitintensiv sei. „Eine umfassende Beantwortung eines Teils der Fragen kann wegen des unzumutbaren Aufwandes, der mit der Erhebung verbunden wäre, nicht erfolgen“, heißt es in dem Schreiben vom 25. März.

Das Verteidigungsressort schreibt weiter: „Die sachgerechte Bearbeitung der Kleinen Anfrage würde zudem Kapazitäten in solchem Umfang binden, dass es zu einer erheblichen und nicht vertretbaren Schwächung der Funktionsfähigkeit des Bundesministeriums der Verteidigung käme. Die sachgerechte Erfüllung der Aufgaben der Organisationseinheit wäre somit erheblich gefährdet.“

Frei sagte, es sei „beachtlich, dass bereits die Beantwortung einer Kleinen Anfrage das Verteidigungsministerium überfordern soll“. Falls dies der Fall sei, müsse Pistorius sein Haus dringend neu aufstellen. Er fügte hinzu: „Sollten es nur vorgeschobene Gründe sein, ist es eine eklatante Missachtung des Parlaments.“ Der Verteidigungsminister sei „in der Pflicht, dem parlamentarischen Fragerecht zu entsprechen“.

Frei kritisiert in seinem Brief an Pistorius zudem: „Schon der Verfahrensablauf zeigt eine Missachtung des verfassungsmäßig garantierten parlamentarischen Fragerechts.“ Die Antwort des Ministeriums sei erst Wochen nach Ablauf der Beantwortungsfrist am 7. März eingegangen. Süffisant ergänzt Frei, „der Terminus „Antwort“ könne „nur als euphemistisch bewertet werden“, da „die Bundesregierung in nahezu allen wesentlichen Punkten der Anfrage die Auskunft verweigert“.

Ganz ohne Inhalte bleibt die Antwort des Verteidigungsministeriums allerdings nicht. Das Ministerium antwortet auf die Frage, welche Dokumente die Bundeswehr im Zuge des Genehmigungsverfahrens für Nord Stream 2 übermittelt habe. Es seien Dokumente über Schusszahlen und Kaliber im Artillerieschießgebiet Pommersche Bucht sowie „eine Mitteilung über Einsatz akustischer, optischer bzw. elektromagnetischer Messgeräte“ an das Bergamt Stralsund sowie an das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) übersendet worden, heißt es.

Auf die letzte der 18 Fragen antwortet das Verteidigungsministerium nicht öffentlich, sondern „im Hinblick auf das Staatswohl“ nur mit dem Geheimhaltungsgrad Verschlusssache „VS – Nur für den Dienstgebrauch“. Die Unionsfraktion wollte darin wissen, ob relevante Mitarbeiter des Bergamts Stralsund oder von Behörden des Landes, die am Nord-Stream-2-Verfahren beteiligt gewesen seien, durch die Nachrichtendienste des Bundes – also den Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) oder den Militärischen Abschirmdienst (MAD) – auf potenzielle Gefahren überprüft worden seien.

Das Ministerium antwortet: „Eine Offenlegung der angefragten Informationen birgt die Gefahr, dass Einzelheiten zur Erkenntnislage des Bundesnachrichtendienstes (BND) bekannt würden, insbesondere da sich hieraus Rückschlüsse über Aufklärungsansätze und Aufklärungsschwerpunkte ableiten lassen.“ Infolgedessen „könnten sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure Rückschlüsse auf spezifische Vorgehensweisen und Fähigkeiten des BND ziehen“.

hfs/re/dpa/tt

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