Keine Freiheit, kein Einkommen: Zum Weltfrauentag veröffentlicht Women for Women International Studie zur dramatischen Lage der Frauen in Afghanistan
6 Monate nach der Machtübernahme schildern afghanische Frauen und Frauenrechtsorganisationen ihre Erfahrungen unter der neuen de facto Regierung und ihre Hoffnungen für die Zukunft. Sie fordern Frauenrechte, Teilhabe am öffentlichen Leben, wirtschaftliche Unterstützung und die Solidarität der internationalen Gemeinschaft.
„Wenn die Taliban die Rechte der Frauen nicht anerkennen und uns nicht erlauben, zu arbeiten, dann ist die Zukunft Afghanistans dunkel und unsicher, vor allem für uns Frauen. Denn wenn sie uns unsere Freiheit nehmen, können wir nicht zur Schule gehen. Wir können nicht frei sprechen, um unsere Rechte einzufordern, wir können kein Geld verdienen und unser Leben nicht so leben, wie es Frauen in anderen Ländern tun. Die Menschen leiden an Hunger und haben derzeit nichts zu essen, wie sollen sie da Hoffnung für die Zukunft haben?“ (Studienteilnehmerin Nadia*)
Zwischen Dezember 2021 und Februar 2022 führte die Frauenrechtsorganisation Women for Women International eine Studie durch, um aus erster Hand von den akuten Herausforderungen afghanischer Frauen zu erfahren. Insgesamt wurden 80 aktuelle und ehemalige Teilnehmerinnen der Programme, die die Organisation im Land durchführt, sowie fünf Expert*innen aus afghanischen Frauenrechtsorganisationen, die ihre Arbeit im Land ebenfalls fortsetzen, persönlich und per Telefon befragt.
Dabei kristallisierte sich eine Hauptbotschaft heraus: Frauenrechte sind essenziell zur Bewältigung der humanitären, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Krise in Afghanistan. Die internationale Gemeinschaft muss dringend ihren Einfluss und ihre Ressourcen bündeln und langfristig angelegte finanzielle Lösungen entwickeln, um die Selbstbestimmtheit und Rechte afghanischer Frauen zu schützen. Ohne die Wiederbelebung des afghanischen Bankensystems können Wirtschaftskrise, Hungersnot und steigende Armut im Land nicht bezwungen werden und ist jegliche humanitäre Hilfe ein Tropfen auf den heißen Stein.
100% der Befragten gaben an, ihr Haushalt habe „häufig“ oder „manchmal“ nicht genug zu essen zur Verfügung. Um die steigenden Kosten für Nahrung und Heizen zu decken, griffen 20% der Befragten auf Kinderarbeit als Bewältigungsmechanismus zurück.
Im Verlauf der Befragung berichtetet eine afghanische Programmteilnehmerin: „Unsere Zukunft ist unsicher. Wir haben unsere Hoffnung verloren und alle Ziele, die wir in der Vergangenheit hatten. Wir denken nur noch daran, was wir essen und wie wir Geld verdienen können, um Nahrung für unsere Familie zu kaufen.“
„Die internationale Gemeinschaft muss auf unsere Stimmen hören, wenn es um Frauenrechte wie Bildung und Arbeit geht. Sie sollte die Taliban davon überzeugen, den Frauen gleiche Rechte in unserer Gesellschaft einzuräumen“, so eine Vertreterin einer lokalen Frauenrechtsorganisation.
Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 sprechen politische Entscheidungsträger*innen, globale Medien, Regierungen und internationale Institutionen häufig über afghanische Frauen und ihre Bedürfnisse, ohne aber mit den Frauen vor Ort zu sprechen. Um zu verstehen, was sie erlebt haben und was sie benötigen, um ihre Zukunft selbst zu gestalten, müssen wir den Stimmen der Frauen zuhören.
Caroline Kent, Deutschlanddirektorin von Women for Women International, sagt: „Was Krieg bedeutet, sehen wir gerade auf entsetzliche Weise in der Ukraine. Sechs Monate nach der Machtübernahme in Afghanistan ist die Lage im Land wirklich dramatisch. 55% der Befragten gaben an, dass sie seitdem keinerlei Einkommen mehr haben und 97% berichteten, dass sie ihre Freiheiten seit August eingeschränkt sehen. Aus diesen Erfahrungen aus erster Hand ergeben sich konkrete Leitlinien für das, was wir als internationale Gemeinschaft dringend leisten müssen.“
Women for Women International fordert die internationale Gemeinschaft und die politischen Entscheidungsträger*innen auf, Frauen und ihre Rechte in allen laufenden Prozessen zur Entwicklung politischer und gesellschaftlicher Prozesse einzubeziehen. Die Frauen im Land dürfen nicht vergessen werden.
*Name aus Sicherheitsgründen geändert
Women for Women International in Afghanistan
Seit 2002 konnte Women for Women International mehr als 120.000 afghanische Frauen durch ein holistisches einjähriges Schulungsprogramm erreichen. Nach der Machtübernahme der Taliban passte die Organisation ihre Programme an die neuen Gegebenheiten an und gehört nun zu den wenigen zivilgesellschaftlichen Akteuren vor Ort, die humanitäre und entwicklungspolitische Maßnahmen mit Frauen implementieren. Dabei liegt ein starker Fokus auf der wirtschaftlichen Befähigung der Frauen.
Über Women for Women International
Wenn Krieg ausbricht, leiden Frauen oft am meisten darunter – sie müssen Traumata, sexualisierte Gewalt und den Tod ihrer Angehörigen erleben. Wenn der Konflikt schließlich vorbei ist, bewegt sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit weiter und es fällt den zurückgebliebenen Frauen zu, ihre Familien und Gemeinschaften wiederaufzubauen.
Women for Women International unterstützt Frauen, die an einigen der gefährlichsten Orte der Welt leben. Diese Frauen schreiben sich in unserem einjährigen Programm ein. Hier lernen sie, wie sie Geld verdienen und sparen können, die Gesundheit ihrer Familie verbessern und wie ihre Stimmen gehört werden – zu Hause und in ihrer Gemeinschaft.
Seit 1993 hat die Organisation mehr als einer halben Million marginalisierten Frauen, die Kriege in Afghanistan, Bosnien und Herzegowina, der Demokratischen Republik Kongo, Irak, Kosovo, Nigeria, Ruanda und im Südsudan überlebt haben, geholfen.
Mit mehr als fünfzig brutalen und bewaffneten Konflikten auf der Erde, gab es nie eine größere Dringlichkeit, Frauen zu unterstützen, die Kriege überlebt haben. Mit Hilfe von Spenden können Frauen die Ausbildung, die von Women for Women International ermöglicht wird, mit den Fähigkeiten, Kenntnissen und den Ressourcen abschließen, die sie brauchen, um ihr eigenes Geld zu verdienen. Unsere Absolventinnen geben ihr Wissen an ihre Nachbarn und Kinder weiter und sorgen so für einen Welleneffekt.
Women for Women International (DE) gGmbH ist eine gemeinnützige GmbH mit Sitz in Hamburg, Deutschland, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Hamburg (HRB 153306). Geschäftsführerinnen: Laurie Adams, Nathalie Busch, Anja Langenbucher, Preeti Malkani, Vanessa Mitchell-Thomsen, Andrea Tiedemann.
Mehr Informationen unter: https://womenforwomeninternational.de/; @womenforwomende
hfs/re/ots/dpa/tt