Wagenknecht-Parteitag: «Wir haben Großes vor»
BSW
Die Partei trägt ihren Namen: Sahra Wagenknecht begeistert ihre Mitstreiter beim ersten BSW-Parteitag in Berlin. Nach innen wirbt sie für einen «pfleglichen Umgang». Nach außen teilt sie heftig aus.
Mit scharfen Attacken gegen die Ampel-Koalition hat Sahra Wagenknecht ihre neue Partei auf das Wahljahr 2024 eingestimmt. Beim ersten Parteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht nannte die Gründerin die Ampel erneut «die dümmste Regierung Europas» und warf ihr vor, das Land in die Krise und schlimmstenfalls in einen Krieg zu führen. «Unser Land, es braucht unbedingt einen politischen Neubeginn», sagte die 54-jährige frühere Linken-Politikerin in Berlin.
Sie hatte Ende 2023 mit der Linken gebrochen und Anfang Januar die neue Partei mit ihrem Namen gegründet. Sie selbst ist Vorsitzende, gemeinsam mit der früheren Linksfraktionschefin Amira Mohamed Ali.
Zum ersten bundesweiten Parteitag versammelten sich etwa 380 Mitglieder im Berliner Kino Kosmos. Sie spendeten Wagenknecht begeisterten Applaus für die Rede, die die Parteichefin mit den Worten schloss: «Wir haben Großes vor für unser Land und für die Menschen, die große Erwartungen in uns setzen. Wir sind es ihnen schuldig, unsere Sache gut zu machen.»
«Wir sind keine Linke 2.0»
Nach innen mahnte Wagenknecht das BSW, an einem Strang zu ziehen. Die Parteimitglieder seien sehr unterschiedlich, darunter seien Gewerkschafter, Unternehmer, Krankenpfleger, Polizisten, Theologen, Großstädter und Dorfbewohner. Die Partei werde nur erfolgreich sein, wenn die Mitglieder diese Unterschiedlichkeit als Gewinn begriffen. «Wir sind keine Linke 2.0, das muss auch für unseren Umgang miteinander gelten», sagte Wagenknecht. «Lasst uns pfleglich miteinander umgehen.»
Andere Parteien kritisierte Wagenknecht scharf, auch die Union und die AfD. Die AfD stehe für Rekordausgaben für Rüstung, und CDU-Chef Friedrich Merz im Kanzleramt wäre «ganz sicher nicht das kleinere Übel». Am härtesten griff sie jedoch die Ampel an und warf ihr Unfähigkeit und Abgehobenheit vor. Wegen der Waffenlieferungen an die Ukraine sprach Wagenknecht von «menschenverachtender Politik».
Für ein «Ende der Hochrüstung»
Als zentrale politische Themen nannte Wagenknecht neben Frieden und Meinungsfreiheit das Streben nach mehr sozialer Gerechtigkeit. Konkret forderte sie unter anderem: einen höheren Mindestlohn von mindestens 14 Euro pro Stunde, bessere Renten auf einem Niveau wie in Österreich, ein Gesundheitssystem ohne Renditedruck, bezahlbare Energie, einen Mietendeckel, eine Abkehr von Wirtschaftssanktionen gegen Russland sowie «ein Ende der Hochrüstung».
Zudem beklagte Wagenknecht zu wenig Aufmerksamkeit für Armut und fehlende Aufstiegschancen. Es gebe immer mehr Berufe, die früher einen bescheidenen Wohlstand ermöglicht hätten. Und in denen die Einkommen heute so seien, dass man mit ihnen nie die Chance auf ein halbwegs gutes Leben habe, auf ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit, auf eine solide Familienplanung oder gar auf ein eigenes Häuschen. «Das muss sich doch wieder ändern in unserem Land», sagte Wagenknecht.
Gegen die AfD
BSW-Generalsekretär Christian Leye betonte die Abgrenzung zur AfD. Diese nähre sich von der Verzweiflung der Menschen, setze sich aber nicht für diese ein. Vom AfD-Programm würden am meisten Menschen mit Einkommen ab 300.000 Euro profitieren, meinte Leye. «Das ist doch keine Anti-Establishment-Partei.» Die AfD sei gegen Subventionen für Bauern und gegen höhere Mindestlöhne. An Menschen mit «Bullshit-Löhnen» gerichtet, sagte Leye: «Die AfD kümmert sich einen feuchten Kehricht um eure Probleme, und das ist die Wahrheit.»
Wagenknecht, Mohamed Ali, Leye und einige andere Vorstandsmitglieder waren schon Anfang Januar gewählt worden. Beim jetzigen Parteitag standen weitere Vorstandsmitglieder zur Wahl, darunter mehrere ehemalige Mitglieder der Linken und mehrere Mitarbeiter von Wagenknecht. Unter den Kandidaten waren der Publizist Michael Lüders sowie die Bundestagsabgeordneten Alexander Ulrich und Zaklin Nastic und die ehemalige Abgeordnete Sabine Zimmermann. Vizevorsitzende wurden die ehemaligen Linken Friederike Benda und Amid Rabieh.
Europawahlprogramm beschlossen
Weniger EU-Vorgaben, gelockerte europäische Schuldenregeln, strikte Migrationspolitik: Die BSW beschloss heute auch sein Programm für die Europawahl am 9. Juni. Es trägt die Überschrift: «Ein unabhängiges Europa souveräner Demokratien – Friedlich und gerecht.» Beim ersten bundesweiten Parteitag stimmten die Gründungsmitglieder in Berlin einstimmig zu.
Einer der Kernpunkte ist die Abkehr vom zentralen Instrument der bisherigen Klimaschutzpolitik: Nach dem Willen des BSW soll der Handel mit CO2-Zertifikaten abgeschafft werden. «Dieser Zertifikatehandel ist völlig ungeeignet, um klimapolitische Ziele zu erreichen», heißt im Programm. Es fordert die unbefristete Nutzung von Verbrennermotoren und die Rückkehr zu Importen von Öl und Gas aus Russland.
Das Papier übt fundamentale Kritik an der EU in jetziger Form und fordert einen Rückbau: «Die EU in ihrer aktuellen Verfassung schadet der europäischen Idee», heißt es. Als Ziel wird formuliert: «Was lokal, regional oder nationalstaatlich besser und demokratischer regelbar ist, darf nicht der Regelungswut der EU-Technokratie überlassen werden.»
Gegebenenfalls solle sich Deutschland an EU-Regeln nicht halten: Das BSW trete «für die Nichtumsetzung von EU-Vorgaben auf nationaler Ebene ein, wenn sie wirtschaftlicher Vernunft, sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Demokratie und Meinungsfreiheit zuwiderlaufen». Das widerspricht dem Grundsatz, dass EU-Regeln für alle 27 Mitgliedsstaaten verbindlich sind. Sie werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten gemeinsam mit dem EU-Parlament ausgehandelt.
Weiter heißt es im BSW-Programm, der EU-Haushalt dürfe nicht weiter wachsen. Auch sollen vorerst keine neuen Mitglieder dazukommen, auch nicht die Ukraine. Nötig sei «ein Moratorium für die EU-Erweiterung».
Andererseits wird mehr Eigenständigkeit gefordert: «Europa muss eigenständiger Akteur auf der Weltbühne werden, statt Spielball im Konflikt der Großmächte und Vasall der USA zu sein.» Europa soll sich für mehr Diplomatie einsetzen. Der Ukraine-Krieg wird als Stellvertreterkrieg zwischen der Nato und Russland bezeichnet, der vom Westen hätte verhindert werden können. In der Migrationspolitik plädiert das Programm für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen oder in Drittstaaten und für die Bekämpfung von Fluchtursachen.
hfs/re/dpa/tt