Politik

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Von Julia Naue und Magdalena Tröndle

Die Freigabe neuer US-Hilfen steht auf der Kippe. Selenskyj bittet eindringlich um weitere Unterstützung. Doch Biden kann ihm nichts versprechen. Und Kiew meldet heftigen Raketenbeschuss. Die News im Überblick.

US-Präsident Joe Biden hat bei einem Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Aussichten auf eine schnelle Bewilligung weiterer US-Hilfen gedämpft.

Biden gab sich bei einer gemeinsamen Pressekonferenz zwar kämpferisch, räumte aber ein, er könne «keine Versprechungen» machen, sei aber hoffnungsvoll, dass es eine Einigung im Kongress geben werde. Gleichzeitig ließ er keinen Zweifel an seiner grundsätzlichen Haltung, dass die USA die Ukraine unterstützen müssten. In der Nacht meldete die Ukraine derweil einen heftigen russischen Raketenangriff auf die Hauptstadt Kiew mit Dutzenden Verletzten.

Die Freigabe neuer US-Mittel für das von Russland angegriffene Land wird derzeit aber von einem Streit im US-Parlament zwischen Republikanern und Bidens Demokraten blockiert. Biden sagte, man sei in Verhandlungen mit den Republikanern. Er mahnte eindringlich, Kremlchef Wladimir Putin setze darauf, dass die USA der Ukraine nicht mehr helfen würden. «Wir müssen ihm das Gegenteil beweisen.»

Selenskyj auf aussichtsloser Mission

Selenskyj war für Gespräche mit Blick auf weitere US-Militärhilfen in Washington. Es war sein dritter Besuch in der US-Hauptstadt seit Beginn des russischen Angriffskrieg im Februar 2022. Er traf dabei auch Mitglieder des US-Kongresses – darunter führende Republikaner. Sie stehen der Bewilligung neuer Hilfen im Weg, weil sie von Biden im Gegenzug mehr Mittel zum Schutz der US-Südgrenze und strengere Regeln in der Migrationspolitik fordern.

Selenskyj sagte, die Signale bei den Gesprächen seien «mehr als positiv» gewesen. «Aber wir wissen, dass wir Wort und konkretes Ergebnis trennen müssen.» Der republikanische Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Mike Johnson, machte jedoch im Anschluss der Zusammenkunft deutlich, dass sich an der Linie seiner Partei nichts geändert habe.

Das bedeutet konkret, dass sich eine mögliche Bewilligung weiterer Hilfen weiter verzögern dürfte. Johnson hielt daran fest, seine Abgeordneten bald in die Weihnachtspause zu schicken. Problematisch ist das vor allem deswegen, weil die bisher bewilligten US-Hilfen nach Angaben des Weißen Hauses bis zum Ende des Jahres aufgebraucht sein werden. Bemerkenswert ist, dass Biden offenbar von der bisherigen Sprachlegung seiner Regierung abwich. Er sagte: «Wir werden die Ukraine weiterhin mit wichtigen Waffen und Ausrüstung versorgen, solange wir können.» Zuvor hatte er immer betont, die USA würden die Ukraine «solange es nötig sei» unterstützen.

Der US-Präsident wurde aber nicht müde, mit deutlichen Worten vor einem Rückzug der Amerikaner zu warnen. «Die Ukraine wird aus diesem Krieg stolz, frei und fest im Westen verwurzelt hervorgehen, es sei denn, wir gehen.» Selenskyj lag bei seinem Besuch besonders das Thema Luftabwehr am Herzen. Darüber habe er sich mit Biden ausgetauscht. «Wir wollen die Luftschlacht gewinnen und die russische Luftüberlegenheit brechen», sagte der ukrainische Präsident. Wer den Luftraum kontrolliere, kontrolliere die Dauer des Krieges. Auf Kritik an der Kriegsführung sagte Selenskyj, es gebe einen klaren Plan.

Mehr als 50 Verletzte bei Raketenangriff auf Kiew

Nach einem heftigen russischen Raketenangriff auf die ukrainische Hauptstadt Kiew haben Rettungskräfte bis Mittwochmorgen 53 Verletzte gezählt. 20 Verletzte, darunter 2 Kinder, würden im Krankenhaus behandelt, teilte Bürgermeister Vitali Klitschko auf Telegram mit. Die anderen Verletzten seien ambulant versorgt worden. Informationen über Getötete gab es nach Angaben der Stadtverwaltung nicht.

Die ukrainische Luftwaffe teilte mit, die Hauptstadt sei mit zehn ballistischen Raketen beschossen worden. Alle zehn seien durch die Flugabwehr abgefangen worden. Wahrscheinlich habe Russland umfunktionierte Raketen des Flugabwehrsystems S-400 eingesetzt, schrieb der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andryj Jermak, auf Telegram. Ziel des Angriffs seien Infrastrukturanlagen in Kiew gewesen.

Die Ukraine wehrt seit über 21 Monaten eine russische Invasion ab. Das ukrainische Hinterland wird dabei fast täglich von russischen Drohnen und Raketen angegriffen. Die ukrainische Flugabwehr wurde inzwischen mit westlicher Hilfe massiv verstärkt.

Schwere Gefechte um Awdijiwka

Die Ukraine steht derweil bei den Kämpfen im Osten des Landes weiter unter Druck. Speziell die Lage um die seit Wochen umkämpfte Stadt Awdijiwka im Osten der Ukraine hat sich nach Militärangaben noch einmal verschärft. «Es ist sehr heiß. Tatsächlich ist es heute noch heißer als gestern und vorgestern», sagte der Chef der örtlichen Militärverwaltung, Witalij Barabasch, im ukrainischen Fernsehen.

Die neue Angriffswelle der Russen hängt seinen Angaben nach mit dem durch den jüngsten Frost hart gewordenen Untergrund zusammen, der den Angreifern den Einsatz gepanzerter Fahrzeuge erlaubt. Die Verteidiger haben seinen Worten nach Dutzende Fahrzeuge abgeschossen. Der Druck der Angreifer bleibe aber hoch, auch durch den Einsatz der Luftwaffe.

Dass Awdijiwka derzeit das Zentrum der russischen Angriffsbemühungen ist, geht auch aus dem abendlichen Lagebericht des ukrainischen Generalstabs hervor, der 37 Attacken allein in diesem Raum verzeichnet. Nach offiziellen Angaben aus Kiew wurden alle abgewehrt. Weiter südlich in der Region Donezk wurde auch die schwer zerstörte Stadt Marjinka weiter von russischen Truppen angegriffen. Im Norden, im Gebiet Charkiw, versuchen die russischen Angreifer, den Druck im Raum Kupjansk zu erhöhen.

Ukraine: Verteidigungsminister und Oberbefehlshaber besuchen Front

Kiews Verteidigungsminister Rustem Umjerow und der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, besuchten offiziellen Angaben nach gemeinsam die Front im Osten des Landes. Sie hätten sich über die aktuelle Lage informiert, Soldaten ausgezeichnet und einen gemeinsamen Aktionsplan für das weitere Vorgehen entwickelt, teilte das Verteidigungsministerium mit.

ARCHIV – Der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow (r) fährt während eines Besuchs in der Frontstadt in der Region Charkiw in der Ukraine in einem Mannschaftstransportwagen mit. Foto: Efrem Lukatsky/AP

Zugleich veröffentlichte die Behörde ein Bild Umjerows und Saluschnyjs zusammen mit Heereschef Olexander Syrskyj, in dem die drei Einigkeit demonstrieren. Zuletzt hatte es mehrfach Berichte über zunehmende Querelen in der ukrainischen Führungsspitze und angebliche Rivalitäten zwischen Selenskyj und Saluschnyj gegeben. Spekuliert wurde, dass Selenskyj seinen in Umfragen beliebten Oberbefehlshaber durch Syrskyj austauschen wolle. Das Foto dürfte auch dazu dienen, derartige Spekulationen zu ersticken.

Selenskyj überraschend in Oslo

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj traf überraschend zu einem erneuten Besuch in Skandinavien ein. Nach seinem Besuch in der US-Hauptstadt Washington landete sein Flugzeug am Mittwochmorgen in Oslo, wie Live-Aufnahmen norwegischer Medien zeigten. In der norwegischen Hauptstadt war im Laufe des Tages ein Treffen der nordischen Staats- und Regierungschefs geplant, an dem nun auch Selenskyj teilnehmen wird.

Bei dem Gipfel wurden am Mittwoch der finnische Präsident Sauli Niinistö sowie die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten aus Norwegen, Schweden, Dänemark und Island erwartet. Dabei sollte es in erster Linie um die nordische Zusammenarbeit in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen gehen. Auch bilaterale Treffen mit Selenskyj waren in dem Zuge geplant, bei denen unter anderem über weitere Unterstützung für die Ukraine gesprochen werden dürfte. Nach Angaben des norwegischen Königshauses war auch eine Audienz bei König Harald V. im Osloer Königsschloss angesetzt.

Was heute wichtig wird

In der Ukraine halten die schweren Kämpfe an. Besonders intensiv waren die Gefechte zuletzt im östlichen Donezker Gebiet. Die Behörden versuchen derweil, die Schäden nach einem Hackerangriff auf den größten ukrainischen Mobilfunkanbieter Kyivstar zu beheben. Medienberichten zufolge kann sich dies aber hinziehen.

hfs/re/dpa/tt

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